Tante M statt Tante Emma

Früher sorgte der sprichwörtliche Tante-Emma-Laden für die Nahversorgung im ländlichen Raum, aus vielerlei Gründen sind die allermeisten dieser inhabergeführten Geschäfte verschwunden. Das Konzept “Tante M” schickt sich jetzt an, mit innovativen Ideen diese Lücke in der Nahversorgung zu schließen.

Die Gemeinde Pfronstetten hat im Jahr 2019 das ehemalige Gasthaus Rose in Pfronstetten gekauft. Ziel war und ist es, dieses zentral gelegene Gebäude für die Verbesserung der Nahversorgung und als Veranstaltungsraum zu nutzen. Die Umnutzung des Saal-Anbaus in einen Bürgersaal ist bereits eingeleitet, aktuell läuft das Baugenehmigungsverfahren und es sind die ersten Vergabe hierfür vorgesehen.

Für den Bereich des ehemaligen Gastraums mit Nebenzimmer ist eine Umnutzung zur Verbesserung der Nahversorgung vorgesehen. Leider ist es bisher nicht gelungen, einen Betreiber für eine Bäckereiverkaufsstelle, idealerweise mit einem kleinen Gastronomiebereich, zu finden. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass der „Altbaubereich“ des Gastraums im Erdgeschoss keine ausreichende Geschosshöhe hat und in einem vergleichsweise schlechteren baulichen Zustand ist.

Ende 2019 wurde die Gemeindeverwaltung von einer Bürgerin auf das Konzept „Tante M“ aufmerksam gemacht. Es handelt sich hierbei um ein weitgehend ohne Personal betriebenes Ladengeschäft mit durchaus ansprechendem Warenangebot und sehr weitgehenden Öffnungszeiten (Mo-So 5-23 Uhr). Auch im Landkreis Reutlingen gibt es bereits solche Ladengeschäfte.

Die Gemeindeverwaltung steht seit einiger Zeit in Kontakt mit Christian Maresch, dem Betreiber dieser Geschäfte. Vor Kurzem fand eine Besichtigung des ehemaligen Gasthauses Rose statt. Demnach wären die beiden Nebenzimmer von Lage und Größe her sehr gut geeignet, um darin einen solchen Laden zu realisieren. Der ehemalige Gastraum würde weiterhin für eine mögliche Bäckereiverkaufsstelle zur Verfügung stehen, möglicherweise muss die Gemeinde sich aber weitergehende Gedanken bezüglich dieses Gebäudeteils machen.

Christian Maresch war nach TV-Aufnahmen des Südwestrundfunks nach Pfronstetten gekommen, um sein Konzept im Gemeinderat vorzustellen. Dieses fußt auf drei Säulen, die er durch die Analyse des Rückgangs der Nahversorgung im ländlichen Raum erarbeitet hat: Der Kunde sucht die Möglichkeit, das ortsnah zu kaufen, was er für den täglichen Bedarf benötigt, dies sollte zu marktüblichen Preisen verfügbar sein und – ganz wichtig – die Öffnungszeiten sollten so gestaltet werden, dass ein Einkauf vor Ort erstens möglich und zweitens auch attraktiv ist. Speziell der letzte Punkt sei oftmals der Grund für das Scheitern von Nahversorgungsangeboten: Um die Personalkosten niedrig zu halten, bieten viele Geschäfte nur reduzierte Öffnungszeiten an, die nicht zu den Lebensgewohnheiten der Menschen passen.

Das revolutionäre an den sogenannten „Tante M-Läden“ ist die Tatsache, dass im Regelfall kein Personal anwesend ist, so dass die Personalkosten bei der Festlegung der Öffnungszeiten auch keine Rolle spielen. Entsprechend großzügig fallen die Öffnungszeiten denn auch aus: An sieben Tagen in der Woche hat Tante M jeweils von 5 bis 23 Uhr geöffnet, also satte 18 Stunden täglich. „Weil niemand beschäftigt ist, gelten wir nicht als Arbeitsstätte, sondern quasi als Automat und dürfen deshalb auch am Sonntag geöffnet haben“ erläuterte Maresch. Teil des Konzepts ist aber, dass in drei festen Zeiträumen pro Woche ein Mitarbeiter im Laden ist – um für Ordnung zu sorgen, aber auch um Kunden beim Einkauf zu unterstützen, die noch unsicher in der Abwicklung sind.

Der Einkauf selbst ist denkbar einfach: Der Kunde scannt an der Kasse selbst die einzelnen Produkte und zahlt dann bequem per Bank- oder Kreditkarte. Wer mit Bargeld zahlen möchte, kann dies auch, allerdings muss er es dann passend haben. Ebenfalls möglich ist eine Kundenkarte, die vorher mit einem Guthaben aufgeladen wird. „Die allermeisten Kunden, auch die älteren, kommen nach kurzer Eingewöhnung sehr gut mit dieser Bezahlweise klar“ berichtete Maresch, „und diese Eingewöhnung kann eben in den Präsenzzeiten des Mitarbeiters im Laden erfolgen – so oft der Kunde will“.

Hochauflösende Kameras im Laden sorgen dafür, dass Ladendiebstahl keine allzu große Rolle spielt. Und gleichzeitig erlauben diese, das Warenangebot von der Zentrale aus zu kontrollieren und für Nachschub zu sorgen, wenn etwas knapp wird. Beliefert werden die Läden entweder von den Branchengrößen EDEKA und MCS oder eben auch von regionalen Lieferanten. „Wir haben gut 1.000 Artikel im Sortiment, die eigentlich überall laufen. Aber wir gehen auch gerne auf lokale Sonderwünsche und örtliche Anbieter ein, unser Ziel ist es, das anzubieten, was im jeweiligen Laden nachgefragt wird“. Das Preisniveau entspricht dem in einem normalen Vollsortimenter wie EDEKA und Co.

Dieser Ansatz bei Warenangebot, Preisniveau und Öffnungszeiten hat sich inzwischen an gut 20 Standorten zwischen Stuttgart und Alb bewährt, weitere 30 Standorte werden geprüft. Auch in kleineren Gemeinden können solche Läden wirtschaftlich betrieben werden, 30 Kunden pro Tag reichen hier, wobei es erfahrungsgemäß tatsächlich deutlich mehr sind. Die Menschen vor Ort zeigten sich überwiegend dankbar für dieses nahe und unkomplizierte Angebot.

Tante M würde dabei vor Ort Räume zu marktüblichen Konditionen anmieten. Der Vermieter müsste diese Räume so anbieten, dass sie als Ladengeschäft nutzbar sind. Für die ehemaligen Nebenzimmer der Rose würde dies bedeuten, dass die trennende Wand entfernt und ein separater Eingang zur Bundesstraße hin eingebaut werden müsste. Außerdem müsste zur Klimatisierung ein handelsüblicher Raumkühler eingebaut werden. „Mit 10.000-20.000 € müsste dies machbar sein“ schätzte Bürgermeister Reinhold Teufel den Aufwand.

Die Mitglieder des Gemeinderats zeigten sich stark interessiert an diesem Angebot, wenn dieses so funktioniere wie angedeutet, wäre es ein Glücksfall für die örtliche Nahversorgung. Deshalb wurde die Gemeindeverwaltung einstimmig beauftragt, die notwendigen baulichen Maßnahmen zu ermitteln und in konkrete Gespräche hinsichtlich einer Vermietung einzusteigen. Wenn alles glatt läuft, könnte ein solches Ladengeschäft im Frühjahr 2022 seinen Betrieb aufnehmen.

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